Ein Scheibner Gedicht
1. Dezember 2024 - 31. Dezember 2024
Der Weihnachtsmann auf der Reeperbahn
Von drunt vom Hafen komm ich her.
Ich muss euch sagen: Es war ziemlich schwer,
auf St. Pauli bei leichten Mädchen und Seebärn
den alten mit seinem Sack aufzustöbern.
Ich wankte laut singend durchs Schneegeriesel,
auf der Großen Freiheit fand ich ihn dann
in einer polizeilich verbotenen Piesel
und stinkbesoffen, den Weihnachtsmann.
Er hing an der Theke, soff Grog und sang stolz
(und lauschten andächtig die Gäste)
die Ballade: „O, Tannen- o, Tannenholz,
wie klebrig sind deine Äste!“
Sein traditioneller weißwallender Bart
geriet ihm des öftern ins Grogglas,
wobei er nach typischer Weihnachtsmannart
leicht schräge auf seinem Bock saß.
war eine Stimmung: so weihnachtlich.
Zwei Striptease-Engelchen setzten sich
dem Weihnachtsmann auf die Beine
(die hatten ganz schön einen sitzen
und da sah man die Lichtlein blitzen)
und schließlich weinte die eine:
„Du lieber guter Weihnachtsmann,
jetzt fang mit der Bescherung an.“
Und da verhaute der Gute
die Weiber mit seiner Rute.
Und dann sangen wir alle im Männerchor
das Lied vom Offenen Himmelstor
und der Weihnachtsmann rief: „Hosianna, Hepp, hepp!“
und versuchte samt Sack einen Solo-Step,
wobei er geschickt auf den Tischen sich tollte
und plötzlich dumpf dröhnend zu Boden rollte.
Da ertönte ringsum der fromme Appell:
„Hebe die Beine und spute dich schnell!“
Es klangen die Glocken.
es fielen die Flocken,
es qualmten die Socken,
es eilten die Stunden, acht Glasen, veer Klocken.
Ahoi, holder Knabe in goldenen Locken,
kein Auge blieb trocken
und den Weihnachtsmann sah man nur groggen und goggen.
Der Wirt war am Bierhahn längst eingeschlafen.
Es tuteten weihnachtlich milde vom Hafen
die Werft- und die Schiffssirenen.
Aber noch immer gab einer der Engel
nicht Ruh mit dem christlichen Liebesgequengel
und flocht, um den Weihnachtsmann zu verwöhnen,
Bierdeckel in seinen Bart und Brezelgeschmeide
und sprach. „Ich verkündige dir große Freude…“
Der Weihnachtsmann ergriff seinen Sack:
„Du Naseweise, du Schelmenpack,
du Aufgebundene bis untenhin
du glaubst wohl nicht, dass ich der Weihnachtsmann bin?“
Und fing an zu weinen. Von einer Marie,
die eigentlich eine Jungfrau hold.
Auf dem Heiligengeistfeld, da habe sie
ihn überredet zu was er von selbst nie gewollt.
Aber Weihnachten dürfe ihn keine verführen.
Und begab sich hinaus auf die Reeperbahn
(den Sack auf dem Rücken, auf allen vieren,
vermied er es klug, die Balance zu verlieren)
wobei er entsetzlich zu grölen begann:
„Die Menschen, die haben keine Frömmigkeit nicht!“
Und entschwankte zur Fähre
zur ersten Schicht.
Mehr von Hans Scheibner erfahren.